Von Schlägen ins Gesicht – Applaus und Lavendel

Dass es der Pflege schlecht geht ist kein Geheimnis. Seit Jahrzehnten wird unsererseits auf die Missstände aufmerksam gemacht. Und dann kam Corona.

Mit Corona kamen plötzlich unzählige Menschen aus ihren Löchern, die vermeintlich hinter der Pflege stehen. Politiker*innen, Prominente, die breite Bevölkerung. Wir wurden als Held*innen gefeiert. Ja, da steht wurden. Denn das ist schon wieder vorbei. Es wurden uns unzählige Versprechungen gemacht. Aber von vorn..

Am Anfang dessen standen Versprechungen von Seiten unseres Gesundheitsministers Jens Spahn, man wolle die Pflege besser entlohnen. Ideen wurden verschriftlicht: 4000 Euro brutto als Einstiegsgehalt (haha), ein Pflegebonus für alle in Höhe von 1500 Euro wurde ausgehandelt. Die Arbeitsbedingungen sollten verbessert werden, durch mehr Personal (hahaha). Spoiler: nichts von alldem ist eingetreten.

Es gab unzählige unsinnige Dankesaktionen. Angefangen beim allabendlichen Applaus für die systemrelevanten Berufe. Eine Aktion der Bevölkerung, inspiriert durch Italien. Gut, kann man machen. Es schallt immer noch in meinen Ohren. Aber was schallt da? Wertschätzung?! Nein. Es schallt Hohn, Spott, Verleumdung und ein gewisser Brechreiz macht sich breit. Die Aktion war sicher gut gemeint, doch kann ich meine Familie damit ernähren? Nein.

Gefolgt von einem Dankeslied vom Kammerchor. Jens Spahn twittert am 31.3.2020 wie stolz er ist, die Schirmherrschaft für diese schöne Aktion übernehmen zu dürfen. Ein Lied für alle Menschen im Gesundheitswesen. Boah Danke, voll schön. Aber kann ich damit meine Familie ernähren? Nein.

Die Krone wurde dem ganzen drei Monate später am 29.6. aufgesetzt. Das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur RLP lässt einen Lavendel an der Universitätsmedizin Mainz pflanzen. Als Dank. Und weil bienenfreundlich. Bienenfreundlich als Synonym für die unermüdliche Arbeitskraft der Pflege?! Oh, da ist der Brechreiz wieder. Twitter kocht, die Pflege kocht. Es gibt den Hashtag #ichpflanzfürdich, er schafft es in die Trends. Viele, viele Menschen echauffieren sich öffentlich in den sozialen Medien über diese Aktion. An Hohn und Spott kaum zu übertreffen.

Das brachte Frau Unbequem und mich dazu, am 16.7. auf Twitter mal ins Blaue zu Fragen: „Was hat man euch als Dank in der Corona Zeit zukommen lassen?“ Eigentlich als Vorbereitung auf unseren nächsten Podcast. Wir haben über 500 Antworten erhalten. Und ich bin sprachlos. Ich koche vor Wut. Ich bin so emotional, dass es mich veranlasst, zusätzlich zum Podcast hier meinen ersten Blogbeitrag zu schreiben. Und auch wenn 500 Antworten nur ein Auszug aus dem großen Ganzen sind, versuche ich hier zusammenzufassen, wie dankbar Deutschland der Pflege wirklich ist.

Eine kleine Handvoll Menschen hat den Pflegebonus oder eine Gehaltserhöhung tatsächlich erhalten. Vielleicht waren es 5% der Antworten (Nein, ich zähle jetzt nicht nach). Dieser erstreckt sich von 50 Euro brutto bis zu den ursprünglich geplanten 1500 Euro netto. Ja, 50 Euro. Wow. Aber soll ich euch etwas spoilern: das ist viel, im Vergleich zum großen Ganzen. Die allermeisten haben NICHTS bekommen (mich eingeschlossen). Und die dusseligen Dankesaktionen reißen nicht ab. Versteht mich nicht falsch, ich möchte hier niemanden diskreditieren. Ich möchte auch nicht undankbar sein. Was Teile der Bevölkerung und privater Firmen da für uns auf die Beine gestellt haben, ist großartig. Und an dieser Stelle schon einmal Danke. Aber kann ich davon meine Familie ernähren? Nein.

Fassen wir zusammen:

  • Es gab jede Menge Essen für uns. In Form von Schokolade (Merci, Osterhasen etc), Pizza, Kuchen, Currywurst, Döner, Eis, Obst, Amerikaner (mit Mundschutz..ja so habe ich auch geguckt)
  • Blumen (ja, auch Lavendel)
  • Überstunden-Spendentöpfe für Menschen die Zuhause eine erhöhte Betreuungslast haben (großartige Idee, von einem Kollegen. Naja immerhin hat der AG mit gemacht)
  • Einkaufsgutscheine von verschiedenen Firmen gesponsort zwischen 25 und 250 Euro
  • Getränke, jede Menge (immerhin auch alkoholische)
  • Sterneköche, die die Kantinen bekocht haben; kostenloses Mittagessen
  • Kostenloses Parken, Kilometerpauschalen, kostenlose Mietautos
  • Dankeskarten, Emails noch und nöcher (meist copy and paste), eine tägliche Danke-Durchsage
  • MNS, teils mit Firmenlogo (Wow…ja, ich habe auch so einen), Schutzbrillen, Desinfektionsmittel, Kugelschreiber
  • Kostenlose Events (Schlauchbootfahrten, Hotelaufenthalte, Sommerfest etc.)
  • Merchandise von Fußballvereinen, Handcreme, Grillsack, Sonnenhüte, Kinderspielzeug
  • Briefe von Nachbarn, man solle bitte ausziehen, damit man die Seuche nicht in der Nachbarschaft verteilt (so schön..)
  • Kurzarbeit, gekürztes Gehalt, Urlaubssperre, nicht gezählte Überstunden

Ich glaube das reicht an dieser Stelle. Mich stören zwei Dinge ganz massiv. Erstens, der Staat hatte mit alldem NICHTS zu tun, außer bei diesen vielleicht 5% die tatsächlich etwas geldwertes bekommen haben. Die allermeisten Arbeitgeber hatten mit alldem auch wenig zu tun, aber immerhin mehr als der Staat.

Was mich aber zweitens wirklich schockiert hat, viele (ca. 30 Prozent) von euch antworteten heute mit: „Naja, immerhin. Eigentlich bin ich ganz zufrieden. Hätte schlechter laufen können. Ich fand das toll.“

Was ist das? Ist das die Resignation? Ist es die Gewohnheit sowieso nicht mehr zu bekommen? Ich weiß es nicht, aber ich bin fassungslos. Geben wir uns wirklich damit zufrieden so abgespeist zu werden? Also ich nicht. Und ich hoffe, viele von euch auch nicht.

Da wir nicht nur pöbeln, sondern ganz konkrete Vorschläge zu Maßnahmen anbringen wollen, gibt es hierzu später einen weiteren Blogbeitrag. Ich möchte an dieser Stelle die Frage an euch weiter geben: Welche konkreten Maßnahmen seitens der Politik würden der Pflege helfen?

In diesem Sinne „vielen Dank für die Blumen“ (Ohrwurm gibt’s gratis)..

(Ergänzung der Redaktion) Dieser Beitrag geht Hand in Hand mit Folge 3 des Podcasts „Unbequem & Friends“, in dem Vollzeit_Tante noch ausführlicher über das selbe Thema spricht.

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6 Responses

  1. Ich würde erstmal die folgenden konkreten Maßnahmen vorschlagen:
    – Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Gehalt
    – Das Herabsetzen des Renteneintrittsalters für in der Pflege tätige Menschen- wie wäre es mit 1 Jahr früher in Rente pro 5 Jahre Tätigkeit in der Pflege, natürlich bei vollen Bezügen? Damit schafft man einen zusätzlichen Anreiz, den Beruf nicht sofort zu verlassen. Es wäre ein Ausdruck der Wertschätzung, außerdem schaffen es die wenigsten bei guter Gesundheit bis ins tatsächliche Rentenalter.
    – Die generelle Einführung einer „Flexibilitätspauschale“ wenn jemand in seinem Frei einspringt, sagen wir 100 Euro pro spontan übernommenem Dienst
    – Die Einrichtung einer unabhängigen Stelle, bei der Pflegekräfte Missstände und Verstöße gegen Vorschriften durch die Arbeitgeber melden können, ohne das ihnen dafür negative Konsequenzen drohen
    – Das Wichtigste was die Politik tun könnte: Endlich besser zu kontrollieren, dass bestehende Vorschriften auch wirklich umgesetzt werden, beispielsweise Personaluntergrenzen, Qualifikationen und Ruhezeiten. Die Arbeitgeber müssen endlich verpflichtet werden, ihre Organisationsverantwortung bei Pausenregelungen auch umzusetzen- jeder Pflegekraft muss ermöglicht werden, ihre Pause zu nehmen und auf Wunsch auch außerhalb der Station zu verbringen. Die Vorschriften dazu gibt es, es kontrolliert aber keiner und es gibt auch keine Konsequenzen. Gerade momentan muss unbedingt kontrolliert werden, dass Arbeitgeber ausreichende und qualitativ hochwertige Schutzausrüstung vorrätig haben und zur Verfügung stellen. Kontrollen müssen engmaschig und unangekündigt sein, nicht Wochen im Voraus angekündigt wie die lächerlichen Hygienekontrollen durch das Gesundheitsamt. Verstoßen Arbeitgeber gegen irgendwas davon, muss es schmerzhafte Konsequenzen geben- von Geldstrafen bis hin zur konsequenten Veröffentlichung von Verstößen in einer öffentliche einsehbaren Datenbank. Das hätte zugleich den Vorteil einer Art Qualitätsmessinstrument für arbeitgebersuchende Pflegekräfte, Patienten und Angehörige. So lange Arbeitgeber mit Samthandschuhen angefasst werden und ihnen permanent signalisiert wird, dass sie machen können was sie wollen, wird sich nichts ändern.

  2. Welche konkreten Maßnahmen seitens der Politik würden der Pflege helfen?

    Zu allerallererst: Die unsägliche Privatisierung von Krankenhäusern rückgängig machen. Gesundheitsfürsorge ist eine staatliche Aufgabe und es kann nicht angehen, dass mit den Krankenkassenbeiträgen auch noch Rendite für Aktionäre gezahlt werden soll.
    Eine Personaluntergrenze, die den Namen auch verdient hat!
    Also 1:2 für Intensiv, mit der Option 1:1 wenn es brennt
    1:1 In der Anästhesie und etwas in der Größenordnung 1:5 oder 1:6 für „Normalstation“
    Dann: Verlässliche Dienstpläne mit vernünftigen Reserven, so dass nie jemand im frei angerufen werden muss. Sollten die Reservepflegekräfte nicht gebraucht werden, gibt es immer was zu lernen oder zu tun oder auch mal die Möglichkeit, in anderen Bereichen zu hospitieren.
    Geld! Bei Gehaltsverhandlungen gibt es immer nur irgendwelche Kleckerprozente, die die Inflation ausgleichen – wie wäre es mal mit einer Forderung von 30%, dann kann man sich ja bei 20% einigen 😉
    Und… wenn die Strukturen der Privatisierung zurückgebaut werden, warum dann nicht gleich mal was Neues denken und … eine Beamtenlaufbahn für Pflegekräfte denken?

    • Im Prinzip kann man deinen Kommentar zusammenfassen zu: Man müsste alles mal ordentlich durchorganisieren und nicht auf Sparflamme dahinplanen und durchführen. Keine Widerrede von meiner Seite.
      Und der Beamtenstatus…. Nun gut, auch Polizisten sind Beamte, aber das dürften wir realistisch nicht mehr erleben.

    • Beamtenstatus fände ich prima,ist ja auch „Dienst am Menschen „😜und das um zuvorgekommen Kommentar:herabsetzen des Renteneintrittsalters.Allerdings nicht mit der Formel 5Jahre bleiben, dafür 1 Jahr früher in Rente.Feinjustierung fehlt da noch,sonst bleiben Menschen in dem Beruf,Welche einfach nicht mehr können. Also Herr @Jens Spahn ,Vorschläge gibt’s genug, umsetzen ist die Devise,bzw.erstmal zuhören #pflegelöhnehoch

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