Namenlos

Namenlos

Gesichtslos

Unbeachtet

Eine Zahl in einer Statistik

Das sind unsere toten Kolleg:Innen im Gesundheitswesen.

Man machte das, was man mit der Pflege schon immer gemacht hat: Nicht beachten, nicht drüber reden, totschweigen.

Als Covid-19 über uns hereinbrach und uns Bilder aus aller Welt von Särgen und Toten überrollten, war es Pflegenden und Ärzt:Innen schnell klar, dass diese Pandemie auch Opfer auf unserer Seite fordern würde.

Aber man hörte und las nur versteckt darüber, wenn man akribisch suchte.

Sars-Cov 2 überschwemmte die Welt und unzählige Menschen starben und immer mehr Kolleg:Innen trauten sich an die Öffentlichkeit via Social Media. Sie waren erschöpft, sie weinten in Videos, sie wiesen auf kriegsähnliche Zustände hin, die sie teilweise ohne Schutzausrüstung erdulden mussten. Man sah Bilder wie sich Kolleg:Innen mit Müllsäcken zu schützen versuchten. Und man sah, wie sie den Tod von Kolleg:Innen und Freund:Innen beklagten

Sie sahen ihre Freunde und Arbeitskollegen sterben.

Wir sahen unsere Freunde und unsere Arbeitskollegen sterben.

Ich sah Freunde und Arbeitskollegen sterben.

Das sind Bilder, die man nicht vergisst, wenn dir Menschen unter den Händen wegsterben, die du seit Jahren kennst, mit ihnen gelacht und geweint hast, mit denen du um jedes Leben in deiner Schicht gekämpft hast, mit denen du durch Blut und Erbrochenes gelaufen bist.

Theatralisch? Nein, es ist die Realität.

Du verlierst nicht nur einen Kollegen, du verlierst einen Menschen in deinem Leben, der andere Leben auf so vielfältige Art und Weise berührt hat, verändert hat und zum Guten gewendet hat.

Dieser Impact fehlt nun an vielen Orten.

Ihr seht eine Zahl, setzt sie in Relation zur Gesamtmasse und zuckt mit den Schultern. Aber es sind genau diese Kollegen, die das Wohl aller vor ihr eigenes gestellt haben, die zu ihren Schichten gegangen sind und Leben gerettet und beschützt haben.

Ich will kein Leben aufwiegen, ganz und gar nicht. Jeder Verstorbene ist einer zuviel.

Aber dieser Verlust trifft die gesamte Bevölkerung und das Sterben hat noch nicht aufgehört. Wir wissen nicht wer noch im August oder Dezember diesen Jahres leben wird. Wir wissen es einfach nicht.

Ich gucke meine Kollegen & Freunde an, schreibe weitentfernten Kollegen, die ich in mein Herz geschlossen habe und habe Angst.

Von uns wurde Unmenschliches verlangt. Ungesagt erwartete man, dass wir die Pandemie abfangen und Stillschweigen bewahren über das was passiert, über das was wir sahen.

Aber wir wollen gerade wegen der verstorbenen Kolleg:Innen nicht still sein.

„Macht euren Job und haltet den Mund“…das war die Botschaft

Man klatschte für uns, man pflanzte Lavendel, man verteilte Stollen und war sich keiner weiteren Verantwortung bewusst, während man in anderen Ländern die Namen der toten Kolleg:Innen veröffentlichte und ihnen den Respekt zollte, den sie verdienten, führte man uns in einer Statistik. Namenlos. Eine bedeutungslose Zahl.

Aber diese Zahl war ein Opfer für die Gesellschaft, das weder gezahlt werden wollte, noch gezahlt werden sollte, aber ein Opfer was von einigen dieser Gesellschaft indirekt gefordert wurde.

„Augen auf bei Berufswahl“ hörte man auch als Antwort, wenn man die Verluste unter den Kolleg:Innen erwähnte.

Das ist schon kein Schlag mehr ins Gesicht, das ist ein gezielter Tritt ins Genick.

Dass wir Anfang 2020 vielerorts keine ausreichende Schutzausrüstung hatten wurde zwischenzeitlich ausgeblendet oder mit einem Schulterzucken quittiert.

Es war so vielen Menschen einfach egal.

Dass Heime, die die vulnerabelste Gruppe dieser Gesellschaft schützen sollten, nach nur wenigen Wochen an ihrem Limit waren und darüber hinaus große Opfer gebracht haben wurde mit einem Bonus abgewatscht. Das bringt den verstorbenen Kolleg:Innen und deren Angehörigen aus diesem Bereich aber nichts.

Stand heute (31.12.2020) sind es lt. RKI 97 verstorbene Kolleg:Innen aus den Pflegeeinrichtungen, 44 aus den Krankenhäusern. Das RKI selbst gibt diese Zahl als Mindestzahl an.

Die Frage, die sich stellt, ist, wie geht unsere Gesellschaft und unsere Regierung damit um?

Augenscheinlich hat man sich so schon an die täglich tausend Toten gewöhnt. Was machen da schon die Kolleg:Innen?

Kurz & knapp: Mehr als ihr euch jemals vorstellen könnt!

Ich habe lange an diesem Beitrag gesessen. Ich habe geschrieben, gelöscht, neugetippt, wieder gelöscht. Es macht mich betroffen, demütig und ich schäme mich dafür, dass es mir gut geht. Klingt paradox, ist aber so. Ebenfalls habe ich lange versucht Namen zu finden…irgendwas…Nichts fand ich, nur Interna. Geflüsterte Namen, die ein Lufthauch schneller weggetragen hat als man sich das vorstellen kann.

Lasst uns diese Kollegen und ihr Opfer nicht vergessen.

Lasst uns ihre Familien nicht vergessen.

Wir kennen nur wenige Namen , aber wir vergessen keinen einzigen von euch.

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11 Responses

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  2. Berührende Worte. Unhaltbare Zustände. Was hilft es da noch, mal eben sein Mitleid auszudrücken, das ist leicht getan, so wie vor langen Zeiten mal abend auf dem Balkon geklatscht wurde.
    Fast vergessen. Deswegen macht es so betroffen, dass dieser Hilferuf überhaupt geschrieben werden muss.
    Aber:
    es ist nicht Hedwig Müller um die Ecke oder Franz Meyer in Ostfriesland, der Euch die Anerkennung verweigert. Für das Virus kann keiner etwas, für die Bewältigung dieser Pandemie schon. Da gibt es Verantwortliche, die benannt werden müssen, wenn wir alle diese Bedrohung überwunden haben. Dire Inkompetenz von Spahn und Merkel, vieler Verantwortlicher vor Ort macht wütend. Das bitte nie vergessen, denn dieses Virus ist nicht das letzte. Das nächste wird kommen um vielleicht nicht nur für einige tödlich sein. Wer pflegt und betreut dann die Erkrankten nach diesen Erfahrungen?

  3. Lieben Dank für diesen Beitrag, der uns sehr betroffen gemacht hat. Als NGO versorgen wir seit März 2020 hochaltrige Menschen. Hier hören wir viel Lob und Anerkennung gerade für die Pflege. Wir sollten zusammenarbeiten, damit sich endlich etwas ändert.

  4. Vielen Dank für diese besonderen Zeilen und allen Menschen in der Pflege oder im medizinischen Bereich mein größter Dank.
    Das Mindeste wäre doch ein Angebot als erste geimpft zu werden gewesen. Das hätte weitere Tote dort verhindern können.
    Ich wundere mich schon lange über das große Schweigen zu diesem Thema in den Medien und der Politik.
    Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.

  5. Liebe Pflegende,
    liebe/r Autor/in dieses Beitrags,
    Danke für diese Worte! Es stimmt, in der ganzen Corona-Unsicherheit vergisst man zu leicht, wer die Menschen sind, die an vorderster „Front“ gegen die Folgen des Virus kämpft und teilweise selbst einen tödlichen Preis dafür zahlt. Ich trauere mit Euch um eure Kolleginnen und Kollegen.
    Danke für eure soooo wertvolle Arbeit.
    Liebe Grüße, Nathalie
    PS: Hab den link von meinem Sohn geschickt bekommen,
    der an der evangelischen Hochschule Pflege dual studiert.

  6. Liebe Schwester Unbequem,
    Du hast völlig recht mit dem, was Du da schreibst! Ich komme ursprünglich auch aus der Krankenpflege und kenne die ganzen Abläufe nur zu gut. Einige meiner Freundinnen sind im Krankenhaus tätig und ich bekomme immer „live“ mit, wie es momentan dort abgeht.
    Wieder wurde/wird am falschen Platz gespart, wieder wird erwartet, dass alles automatisch läuft und funktioniert – aber zu welchem Preis.
    Täglich bin ich fassungslos ob der Menschen, die durch ihr ignorantes Verhalten (..ist doch alles nicht so schlimm, keine Masken tragen, Reisen, Partys, Shoppen usw. ) alles nur noch hinauszögern, verschlimmern und damit die Menschen in der Pflege, die an ihr Limit gehen und ihr Bestes geben, verhöhnen. Aber wenn es sie dann selbst trifft, möchten sie auch die beste Behandlung und ÜBERLEBEN!
    Es tut mir sehr leid und macht mich unendlich traurig, dass im Kampf gegen diese furchtbare Krankheit schon so viele Kollegen:innen ihr Leben lassen mussten und Eltern, Eheleute, Partner, Kinder ihre liebsten Menschen verloren haben.
    Und noch immer schafft es die Regierung, schaffen es die Verantwortlichen nicht, die Situation zu entzerren.
    Ich danke Euch von Herzen, dass Ihr für uns alle da seid und hoffe, Ihr behaltet trotz allem Eure Kraft, Eurer Können und Eure Liebe zu diesem Beruf.

  7. Danke für Euren Einsatz und mein herzliches Beileid. Ich bin stinkewütend auf die Politik. Ich bin nicht in der Pflege oder im medizinischen Bereich tätig. Ich fühle mit Euch und hoffe, dass die Politiker endlich mal in der Realität ankommen.

  8. Danke, für diese Zeilen!
    Des öfteren hört man von Freunden auf Station das geschätze Kollegen/innen verstorben sind, aufgrund von Covid19.
    Zwei meiner Freundinnen beide erkrankt an Corona, hatten zum Glück einen nicht so schlimmen Verlauf um so dankbarer bin ich.. beide arbeiten auf Station.
    Um so wichtiger …denen zu gedenken.. die daran verstorben sind.. und ihre Familien hinterlassen haben…
    Danke für diese Zeilen ..er berührt mein Herz!

  9. Danke für den Einsatz und mein Beileid zu dem Verlust(en).
    Danke für den Post.
    Danke!

    Ich werde es verbreiten damit der Verlust nicht vergessen wird.

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