Ambulante Laienpflege

von Mariam, Alternpflegerin & Pflegende Angehörige

Wie sollte der Umgang mit dementiell veränderten Menschen gestaltet werden?

Die Pflege von Angehörigen mit einer dementiellen Erkrankung gehört zu einer der herausforderndsten Tätigkeiten, die die häusliche Pflege zu bieten hat. Denn eine dementiell veränderte Person benötigt nicht nur Hilfe bei der körperlichen Pflege wie Nahrungszubereitung, Waschen und anziehen, sondern bringt auch noch einen dauerhaft psychisch veränderten Status mit sich.  Menschen, die ihre Dementiell veränderten Angehörigen pflegen sehen sich also nicht nur mit dem Dschungel an Verwaltungsaufgaben und dem Erlernen der klassischen Pflege konfrontiert, sie müssen sich auch noch auf die Veränderungen der Persönlichkeit und die neuen Situationen mit der Ihnen vorher so vertrauten Person einstellen. Das kann im höchsten Maße belastend sein und in Kombination mit den anderen Herausforderungen schnell an die Belastungsgrenze führen.

Aber was kann man tun, wenn man Mutter oder Vater nicht einfach ins Heim geben möchte? Wie kann man die beste Versorgung gewährleisten, ohne Selbst an Schuldgefühlen oder der Überforderung zu zerbrechen?

Demenzielle Erkrankungen als Diagnose

Die Erkrankung Demenz wird in der Gesellschaft immer noch zu undifferenziert als eine große und beängstigende Diagnose betrachtet.  Das Stellen der Diagnose geht oft mit großen Ängsten und Vorurteilen einher: Mutter wird sich bald in die Hose machen und ich muss sie wickeln, Vater wird bald wie ein Kleinkind von mir gefüttert werden müssen. Was ist, wenn Mutter wegläuft?

Bei jedem Betroffenen stellt sich die Erkrankung anders zusammen und ist dabei abhängig von der jeweiligen Form der Demenz, dem persönlichen Charakter, der Lebenserfahrung, die die betroffene Person gesammelt hat und nicht zuletzt, wie wir mit der zu pflegenden Person umgehen und sie fördern und verstehen.

Die verschiedenen Formen der Demenz sind weitläufig und einen eigenen Fachartikel wert. Aber was haben Charakter und persönliche Lebenserfahrungen mit dem Verlauf der Demenz zu tun? Charakterliche Merkmale können sich durch die demenzielle Erkrankung verstärken oder auch erst zutage treten. Menschen, die eine Neigung zur Melancholie oder Traurigkeit haben können, vermehrt weinen oder in depressive Episoden rutschen. Menschen, die von jeher Selbstbewusst und stur waren, können in eine Verweigerungshaltung oder Wutausbrüche hineinrutschen. Dies kann das Verhalten der Person im ersten Moment irritierend Verändern, wenn man jedoch den Charakter des Menschen betrachtet, jedoch durchaus Sinn ergeben.

Beispiel: Eine dementiell erkrankte Dame wollte partout nicht beim waschen und anziehen unterstützt werden, Essenshilfe lehnte sie immer murrend und mit Aussagen wie ,,Quatsch‘‘ oder ,,was soll das?‘‘ ab und war teilweise aggressiv je netter man es versuchte. Nachfrage bei den Angehörigen ergab das diese Dame sich früher immer viel um andere gekümmert hatte und ihres Aufhebens um ihre eigene Person immer unangenehm gewesen war. Wir begannen also die Pflege mit so wenig Kommunikation und Aufhebens wie möglich zu gestalten und die Dame konnte die Hilfe viel besser annehmen, war weniger mürrisch und die Pflege ging unkomplizierter von statten.

Neben dem Charakter spielen die Lebenserfahrungen eine weitreichende Rolle in dem dementiellen Verlauf. Kriegserfahrungen werden mit den folgenden Generationen immer weniger aber, persönliche Schicksalsschläge, erlebte persönliche Katastrophen können immer wieder durchbrechen und dem Verlauf der Krankheit beeinflussen.

Beispiel: Eine Dame hatte von ihren Angehörigen das schönste Zimmer in einem Pflegeheim gemietet bekommen. Aber sie wollte partout nicht dort schlafen. Sie weinte sehr viel, rief nach ihrer Schwester und lief immer wieder verzweifelt über die Flure. Eine Nachforschung in der Biografie ergab das die Frau in ihrer Jugend wohl einen sexuellen Übergriff erlebt haben musste und nie ohne Licht oder Radio geschlafen hatte. Wir stellten ein Bett auf den Flur direkt vor dem Schwesternzimmer. Als die Frau nun weinend über die Flure lief nahm sie das Bett dankend an und schlief oftmals friedlich vor dem Schwesternzimmer, wo sie Stimmen hörte, und Licht war.

Oft sehen wir das Verhalten von dementiell Erkrankten Menschen nur als Problematisches Verhalten. Wir sehen die Probleme, die es im Alltag bereitet und sortieren es schnell als falsch ein. Wichtig ist den dementiell erkrankten Menschen in seinem Tun immer ernst zu nehmen. Jedes Verhalten hat einen Grund. Wir erkennen ihn nur nicht. Versuchen wir also das Fehlerhafte Verhalten zu korrigieren bringen wir den dementiell Erkrankten in eine verzweifelte Situation, die nicht selten in Gewalt endet. Stellen sie sich vor sie wollten ihr Kind vom Kindergarten abholen und jemand käme daher und würde sagen, ihr Kind wäre Erwachsen und versuchen sie daran zu hindern das Haus zu verlassen, sie womöglich noch einsperren. Welche Mutter welcher Vater würde nicht zum Löwen werden, um sein Kind abzuholen? Nichts anderes tun dementiell erkrankte Menschen aus ihrer Perspektive.

Wie kann ich meinen Angehörigen also nun durch schwierige Situationen helfen?

Entwickeln sie ein Bewusstsein dafür das jedes Verhalten immer einen Grund hat. Denken sie nicht aus der defizitären Sicht, was hat mein Angehöriger falsch gemacht, sondern was wollte er/sie bezwecken und versuchen sie ihm durch diese Situation zu helfen oder ihn darin zu bestätigen.

Er möchte das Haus verlassen und sein Kind vom Kindergarten abholen, aber sie sind das Kind und gute vierzig Jahre alt? Weisen sie ihren Angehörigen nicht auf den Fehler hin, denn entweder beschämen sie ihn und riskieren den emotionalen Rückzug oder sie erhalten eine aggressive Reaktion. Nehmen sie die Person ernst und treten sie in Kommunikation auf Augenhöhe.

Beispiel: ,,Wo möchtest du hin?‘‘

,,Na zum Kindergarten ich muss Lotte abholen.‘‘

,,Ist dir das Wichtig Lotte pünktlich abzuholen?‘‘

,,Ja, natürlich ich bin immer pünktlich.‘‘

,,Du bist eine tolle und zuverlässig Mutter/ Vater. Lotte kann richtig froh sein.‘‘

,, Ja Lotte kann sich auf mich verlassen.‘‘

,, Ich würde gerne mitkommen dann können wir zusammen Lotte abholen, hilfst du mir noch schnell bei xy, dann kommen wir schneller los und sind pünktlich. ‘‘

Personen, die sich ernstgenommen fühlen sind eher zu Kooperation und Verhandlungen bereit.

,,Ich habe alles versucht und trotzdem keinen Erfolg‘‘

Wie also vorrausgehend ausgeführt, ist keine dementielle Erkrankung gleich und eine Bedienungsanleitung, die immer zuverlässig funktioniert gibt es nicht. Es kann also sein, dass sie alles versuchen und trotzdem keinen Erfolg haben. Zumal die Pflege von Angehörigen immer im Kontext des Alltags stattfindet. Vielleicht arbeiten sie noch nebenbei, haben Kinder, verschiedene Aufgaben oder sind auch einfach nicht so talentiert in der Kommunikation. Es gibt Situationen in denen man genervt und gestresst ist und einfach keine Lust und Kraft für die zwanzigste Diskussion hat, warum Lotte nicht vom Kindergarten abgeholt werden muss. Und das ist vollkommen in Ordnung!

Sie sind nicht Superman oder Wonderwoman. Es ist vollkommen normal an seine Grenzen zu stoßen und auch mal keinen Erfolg zu haben. Zwingen sie sich zu nichts, wenn sie emotional oder körperlich an eine Grenze kommen, denn damit schaden sie nur ihrem Angehörigem und sich selbst.

Eruieren sie in welchen Situationen die Belastung besonders hoch für sie ist und suchen sie angepasste Lösungen. Niemand darf sie dafür verurteilen, denn die Pflege von Demenzerkrankten geht mit einer enormen psychischen Belastung einher.

Mutter will partout nicht duschen und es endet jedes Mal in einem Kampf? Vielleicht möchte sie keine Arbeit machen oder es ist ihr unangenehm sich vor ihnen zu entkleiden, holen sie sich einen ambulanten Pflegedienst für diese Tätigkeit.  Sie arbeiten zwar im Homeoffice, aber Vater kommt alle paar Minuten herein und fragt nach etwas? Überlegen sie, ob eine Tagespflege in Betracht kommt.

Wenn die Pflege und der Aufwand durch die Demenz Erkrankung zu hoch wird scheuen sie nicht eine entsprechende Vollzeitpflege in Betracht zu ziehen. Oft wir Pflegeheim mit abschieben gleichgesetzt ,,ich gebe Mutter/ Vater doch nicht einfach weg‘‘. Aber bedenken sie den Vorteil, die pflegerischen Konflikte bei z.B. ankleiden und Essen entfallen und sie können entspannter die Zeit mit ihren Angehörigen genießen. Niemand sagt, das der Umzug in ein Pflegeheim auch gleichzeitig mit dem Verlust des Kontaktes einhergeht. Sie können Mutter/ Vater zum Sonntagskaffee oder auch jeden Tag abholen und so die gemeinsame Zeit so intensiv und liebevoll wie möglich miteinander verbringen.

Sprechen sie über ihre Gefühle, auch, und insbesondere, über die negativen. Beziehen sie Menschen in ihre Situation mit ein, Freunde oder  Familienmitglieder und wenn es im privaten Bereich nicht ausreichend Hilfe gibt, wenden sie sich an professionelle Stellen. Fachpersonen, sei es bei ambulanten Pflegediensten oder Pflegeberatungsstellen werden sie nicht verurteilen, sondern maßgeschneiderte Lösungswege anbieten so das die Pflege für alle beteiligten so Stress- und Gewaltfrei wie möglich gestaltet werden kann.

Gewalt in der Laienpflege

Gewalt in der Pflege von Angehörigen ist ein sensibles Thema. Es ist eines der letzten Tabuthemen der Gesellschaft, das gerne ausgeblendet oder unter den Teppich gekehrt wird. Denn jemand der sich liebevoll und aufopfernd um seine Angehörigen kümmert, kann nicht einfach der Gewalt beschuldigt werden. Er/Sie tut ja schließlich sein/ihr Bestes.

Dies ist unbenommen, jedoch muss Gewalt immer unterbunden werden und dafür müssen die Mechanismen, die zur Gewalt führen benannt und aufgezeigt werden. Dabei ist es besonders wichtig die Gewaltausübenden nicht zu stigmatisieren oder zu beschämen, sondern sie in ihrer Not zu erkennen und Lösungen aufzuzeigen. Gewalt in der Laienpflege ist ein Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit und Überforderung. Trotzdem muss das Schlaglicht viel mehr auf diesen verborgenen Teil der Laienpflege gelegt werden, um Betroffenen von Gewalt zu helfen und die Situation für alle beteiligten zu verbessern.

Was ist Gewalt?

Wenn von Gewalt in der Pflege gesprochen wird, hat man zuerst Bilder im Kopf wie Menschen geschlagen werden oder an ihnen gezerrt wird. Gewalt beginnt jedoch schon viel früher – sie kann sich langsam aufbauen oder auch immer kleine Ausbruchsspitzen haben. Meist wird Gewalt in der Laienpflege jedoch aus Unwissenheit und Hilflosigkeit ausgeübt. Daher ist sie auch explizit von der Gewalt in der professionellen Pflege zu unterscheiden und anders zu bewerten.

Wo also beginnt Gewalt?  Gewalt in der Laienpflege wird begünstigt durch das vorherrschende Machtgefälle zwischen Pflegenden und ihren Angehörigen. Durch die Problemorientiertheit wird Gewalt oft als Sachzwang dargestellt, ist aber eigentlich die Grenzverletzung oder Herabsetzung des Gegenübers. Es ist bereits das Einschließen oder Hindern am Verlassen des Ortes. Es ist schweigen oder nicht beachten der erkrankten Person. Es ist das Vordiktieren von Handlungsabläufen und Tätigkeiten.

Auch wenn es gut gemeint und rational begründet ist. Eine Person gegen ihren Willen zu duschen ist eine gewaltvolle Handlung.  Jemandem, der immer dieselben Sätze oder Sätze ohne Zusammenhang sagt nicht zu beachten, ist Gewalt. Alles was den Menschen in seiner Freiheit und Würde beschneidet ist Gewalt, zu der eine Alternative gesucht werden muss.  

Der erste Schritt ist die Bewusstmachung, ab wann Gewalt beginnt. Fragen Sie sich, ob sie unter anderen Umständen beispielsweise, wenn die Person kognitiv fit wäre, die Handlungen in Ordnung fänden. Wenn nicht könnte es Gewalt sein und sollte unterlassen werden.

Im zweiten Schritt geht es um die Selbstzentrierung. Menschen, die Ihre Angehörigen pflegen tun dies häufig über die eigenen Erschöpfungsgrenzen hinaus bis teilweise zu völlige Selbstaufgabe. Bleiben sie bei sich und ihren Gefühlen.  Wenn sie Wut, Verzweiflung oder ähnliches Spüren kann eine Situation schnell eskalieren, da dementiell Erkrankte Menschen sehr feine Antennen für die Stimmung um sie herum entwickeln und darauf reagieren.

Versuchen sie die Situation zu verlassen oder, wenn dies nicht möglich ist, kommunizieren sie ihre negativen Gefühle. Ein ehrliches ,,ich bin gerade echt genervt, weil ich einen langen Arbeitstag hatte und jetzt das Umkleiden nicht klappt‘‘ trifft manchmal auf mehr Verständnis bei dem Erkrankten, als wenn sie versuchen ihre Emotionen zu unterdrücken.  Achten sie auch auf ihr Umfeld und sprechen sie pflegende Angehörige an, bieten sie einen Gesprächseinstieg, dem es den pflegenden Angehörigen ermöglicht seinen Frust und seine Wut oder Stress zu artikulieren, ohne dass sie Angst haben muss, verurteilt oder beschämt zu werden.

Sachzwänge erkennen und hinterfragen

Oftmals sind es bestimmte immer wiederkehrende Situationen, die zu Konflikten führen und die Pflege erschweren und die Beziehung belasten. Verifizieren Sie welche Situationen Auslöser sind und schauen sie, ob es eine Begründung gibt, die im Verhalten der dementiell Erkrankten Person liegt. Ist dies nicht festellbar kann es auch ein Sachzwang sein den man oft als gegeben hinnimmt. Beispielsweise gibt es immer Konflikte am Essenstisch. Vielleicht isst die Person ihr Essen lieber im Bett. Sofern dies vertretbar ist, nehmen sie die Gegebenheit an. Körperpflege ist ein weiteres großes Konfliktfeld in der Pflege. Überlegen Sie in welcher Form und Umfang die Pflege erfolgen muss und suchen sie einen Kompromiss. Bedenken sie, der Mensch hat ein Recht auf Verwahrlosung. Treten sie mit sich und ggf. ihrem Umfeld in Verhandlung wieviel Verwahrlosung sie tolerieren können. Oftmals sind Sachzwänge, die wir empfinden von uns selbst geschaffen und dementiell Erkrankte fordern uns regelmäßig heraus diese zu hinterfragen und vielleicht sogar über Bord zu werfen. Sofern es sich nicht um Eigen- und Fremdgefährdung handelt, sind die Grenzen weit zu stecken. Wenn sie an Ihre Grenzen Stoßen holen sie sich professionellen Rat und entsprechende Entlastungen. Punktuell sind auch Betreuungsleistungen zuhause möglich, Tagespflegen oder ambulante Dienste, die sie auch in herausfordernden Situationen zum Umgang beraten können.

Abschließende Worte

Abschließend bleibt zu sagen das die Pflege von Angehörigen und insbesondere die Pflege von dementiell Erkrankten eine enorme Herausforderung ist den Respekt und Anerkennung verlangt und die aufgrund eines maroden Pflegesystems immer häufiger vorkommen wird.

Pflegende Angehörige sollten mehr Zugang zu niederschwelligen Beratungsangeboten erhalten und häufig davon gebrauch machen.

Achten Sie auf ihre eigenen Gefühle und auf ihr eigenes Wohlbefinden denn nur ein gesunder Mensch kann gute Pflege leisten. Scheuen Sie sich nicht Hilfe anzufordern sowohl in sozialer Unterstützung aus dem eigenen Umfeld als auch von professioneller Seite.  

Schaffen sie eine pflegerische Situation, in der ihr Angehöriger sich wohl und sicher fühlen kann und investieren sie ihre Kraft in die zwischenmenschliche Beziehung, die sie zueinander haben, denn das ist etwas das nur sie als Angehöriger haben, die Beziehung zu der Person deren Pflege sie übernehmen.

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