Neue Kollegen – Fluch oder Segen

Zwei Pflegende sitzen vor einem Ordner. Man sieht nur die Oberkörper und eine Hand, die auf den Ordner zeigt.

In unserer Gruppe gab es die Tage eine Diskussion. Ausgelöst dadurch, dass eine Kollegin neu auf Intensivstation angefangen hat. Am ersten Tag wurde sie weitestgehend ignoriert. Unter ihrem Tweet fanden sich schnell zwei gleichgesinnte Kolleg*innen, die gerade das gleiche Problem haben oder hatten. Es scheint ein weiter verbreitetes Problem zu sein, denn auch ich kenne dieses Phänomen. Die Intensivwelt ist eine eigene. Ein meist abgeschlossener Bereich. Wenn man nicht gerade Raucher ist, bekommt man aus dem Rest des Krankenhauses quasi nichts mit. Man fühlt sich wie die Elite, denn gerade am Anfang fühlt es sich unfassbar gut an was man da tut. Ich meine hey, ICH bestimme gerade, was mit diesem Patient passiert. ICH ersetze ein bis drölf Organsysteme, ICH steuere die Therapie. Unterm Strich: ICH bestimme über Leben und Tod.

Nach ein paar Jahren, wird auch das Routine. Es ist nicht mehr so spannend. Die meisten Handgriffe kann man im Schlaf, wenngleich man natürlich trotzdem immer fokussiert bleibt. Man ist, wie man so schön sagt, ein alter Hase. Und jetzt muss man aufpassen. Ich habe für mich immer gesagt, wenn ich ein Arschloch werde, gehe ich. Und genau so habe ich das auch durchgezogen. Ich wurde ungeduldig und unfair. Wenn mehr Menschen so selbstreflektiert wären, hätten wir das oben genannte Problem nicht. Wir haben es aber. Als Pflegekraft auf einer Intensivstation fühlen sich viele den anderen Kollegen auf der Peripherie überlegen. Dabei ist das totaler Bullshit. Wenn man mich heute, 15 Jahre nach meiner Ausbildung, auf eine Normalstation stecken würde, ich wäre maximal überfordert. Jeder ist ein Fachidiot in seinem Bereich. Und das wird auch die Generalistik nicht ändern #justsaying.

An ihrem zweiten Tag wurde besagte Kollegin direkt ins kalte Wasser geworfen. Durch Personalausfall war sie mit EINER Kollegin alleine. Einarbeitung?! Tja nun. Wir kennen das alle. Es kam wie es kommen musste, der Oberarzt drückte auf die Tränendrüse a la „wenn du diese 3 Patienten nicht alleine versorgen kannst, müssen wir Betten sperren“. Gerade am Anfang will man sich natürlich beweisen, sich nicht „anstellen“, also sagt man ja. Leute, macht das nicht. Auch wenn sie die Patienten vom Vortag kannte, ihr die Krankheitsbilder aus ihrem alten Haus bekannt waren, es ist ein Risiko. Ein Risiko, dass ihr im Zweifel ganz alleine tragt. Oder denkt ihr, es stellt sich am Ende jemand vor euch um euch zu schützen. Ihr kennt die Strukturen nicht, die Räumlichkeiten nicht, die Abläufe nicht. UND was noch hinzukommt, gerade wenn man frisch auf einer Intensivstation anfängt, man hat den Überblick noch nicht. Der menschliche Körper ist extrem komplex, eine falsche Variable und das ganze System könnte kollabieren. Diese Patienten sind in den seltensten Fällen umsonst auf einer Intensivstation. Es kann es sehr schnell etwas verrutschen, es kann sehr schnell zu einem Notfall kommen, den man dann eben als junger unerfahrener Kollege nicht mehr beherrschen kann. Was denkt ihr, was passiert, wenn dann ein Patient zu Schaden kommt, im schlimmsten Fall verstirbt. Erstens seid ihr dann für die Konsequenzen haftbar, und zweitens nehmt ihr das mit nach Hause. Wir alle sind Menschen, keine Maschinen. Wir haben im Normalfall ein Gewissen, Verantwortungsgefühl. So etwas kann einen kaputt machen. Und wird es bei den meisten Menschen auch. Diese paar Intensivbetten nicht zu sperren ist es nicht Wert, dass ein Patient und eure eigene Psyche zu Schaden kommt.

Eine gute fundierte Einarbeitung auf einer Intensivstation ist das A und O, ebenso in anderen Bereichen. Und ich rede hier nicht nur von den räumlichen und organisatorischen Strukturen. Ich rede von Krankheitsbildern, Medikamenten, Diagnostik etc etc. Werdet professionell. Der Pflegeberufe kann nur an Ansehen gewinnen, wenn man absolut evidenzbasiert belegen kann, warum man gerade was tut. Dazu gehört auch jede Menge eigene Recherche und lernen Zuhause. Fordert euch aber auch von eurem Arbeitgeber Fortbildungen ein. Die stehen euch zu. Die sind wichtig. Geht auf Kongresse, Tagungen, Messen. Nehmt gerade am Anfang so viel mit wie es geht. Aber auch als alter Hase, bleibt auf dem neusten Stand. Dieses „das haben wir schon immer so gemacht“ bringt mich von jetzt auf gleich auf die Palme. Ich war, zum Glück, mit einem Arbeitgeber gesegnet, der das alles ermöglicht hat, mir ist bewusst, dass das nicht alle Arbeitgeber so unterstützen. Und ja ich weiß, für das alles muss man Zeit und Nerven aufwenden. Wir sind müde. Alle. Aber wenn wir es jetzt nicht schaffen aus dieser Lethargie herauszutreten, unsere Berufsgruppe nicht endlich professioneller, organisierter aufstellen, haben wir keine Chance.

Also, warum schaffen wir es nicht, andere Kollegen aus anderen Bereichen mit offenen Armen zu empfangen. Uns zu freuen, dass sie da sind. Uns zu freuen, dass sie noch motiviert sind, Energie haben, viele Dinge verändern/ verbessern wollen, weil sie eben noch einen Blick von weiter außen haben. Als alter Hase steckst du so tief in deinen Strukturen fest, da siehst du Veränderungspotential nicht. Also nutzt die Kollegen die von außen kommen, hört ihnen zu, arbeitet sie ordentlich ein, behandelt sie wie ihr selbst behandelt werden wollt; gebt ihnen die Chance, Dinge zu verändern, lasst euch darauf ein. Das hat so viel Potenzial.

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